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Systematische Anamnese

Unter systematischer Anamnese versteht man eine umfassende Befragung des Patienten nach einem festen Schema, das routinemäßig alle Aspekte einer ganzheitlichen Anamnese, ggfls. unter Hinzuziehung von Fragebögen, einschließt.

Im Studium bekommen die Medizinstudenten heutzutage eingetrichtert, dass 70 bis 80 % der Diagnosen durch eine derartige, systematische Anamnese gestellt werden können. Ich möchte mich nicht auf die prozentuale Treffsicherheit dieser Aussage festlegen sondern betonen, dass die systematische Erstanamnese dem Arzt nicht nur einen umfassenden Eindruck vom Patienten verschaffen und ihm helfen soll, die Bedeutung der Symptomatik, deretwegen sich der Patient vorstellt, in den Lebenskontext des Patienten einzuordnen, sondern die Basis für ein vertrauensvolles und wertschätzendes Arzt/Patientenverhältnis schafft.

Die Kunst der Anamneseerhebung gleicht damit den detaillierten Ermittlungen eines Detektivs, der verschiedene Indizien und Beweise sammelt, um die einzelnen Mosaiksteinchen zu einem Gesamtpuzzle zusammenzusetzen.

Dabei erkläre ich meinen Studenten, dass sie diese Erstanamnese immer vor  Sichtung der Vorbefunde erheben sollen, damit der Patient nicht von vorneherein in einer "Schublade landet" und wichtige Nebenbefunde übersehen werden.

Darüber hinaus ist es unabdingbar, der Erstanamnese genügend Zeit einzuräumen und dem Patienten zuzuhören, wie es auch Bernhard Lown, der berühmte Kardiologe und Friedensnobelpreisträger in seinem lesenswerten Buch "Die verlorene Kunst des Heilens" empfiehlt.

Welche Aspekte gehören nun zu einer systematischen Anamnese?

  • die biographische Anamnese. Dazu zählen neben dem Geburtstag und -ort beispielsweise auch Traumata, Ehrungen u. ä.
  • die sozialmedizinische Anamnese, das heißt die Ausbildung, der Wehrdienst oder das freiwillige soziale Jahr, der Beruf, die Arbeitszeiten, Reisetätigkeit, Grad der Behinderung, AU-Zeiten, Renten, Umschulungsmaßnahmen, ehrenamtliche Tätigkeiten etc. Außerdem kann an dieser Stelle auch nach einer Patientenverfügung und einer Vorsorgevollmacht in gesundheitlichen Belangen gefragt werden
  • Hobbies, wie z. B. Sport im Verein, Jagd, Chor, malen, schreiben,... Dieser Anamnesepunkt ist mir wichtig um den Zeiteinsatz für das Hobby und den Grad an Freude und Bestätigung abschätzen zu können, den dieses Hobby beim Patienten auslöst, da daraus Ressourcen erwachsen können, die zur Gesundung beitragen
  • die Familienanamnese, das heißt die bedeutsamen Erkrankungen der Familienmitglieder 1. Grades
  • Unverträglichkeiten wie z. B. gegen Milcheiweiß oder Gluten, Allergien, z. B. gegen Pollen oder Medikamente, Gegenanzeigen gegen Medikamente wie z. B. Fluorchinolone, OP-Komplikationen wie Wundheilungsstörungen oder Thrombosen sowie Narkosezwischenfälle
  • Ernährungsanamnese, das heißt, mediterrane, asiatische oder deftige Mischkost, vegane oder vegetarische Kost, Essenzeiten, Fastenzeiten, Fastenkuren, ayurvedische Kuren. Selbst kochen von frischen Nahrungsmitteln oder warm machen von Fertiggerichten, Kantinenessen / Essen auf Rädern
  • Zahnstatus
  • Impfstatus
  • kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Rauchen, Alkohol, Drogen, Doping
  • aktuelle Medikation (Dosis und Einnahmezeiten)
  • sonstige Therapien, das heißt Einnahme nicht-rezeptpflichtiger Produkte, Homöopathika und von Nahrungsergänzungsmitteln
  • Heil- und Hilfsmittel wie z. B. Physiotherapie, Osteopathie, Hörgeräte, Rollator,...
  • Voruntersuchungen, das bedeutet wo, welche und wann zuletzt
  • vegetative Anamnese, das bedeutet Fragen nach Husten, Körpertemperatur, Stuhlgang und Harndrang, Übelkeit, Kopfweh, Schwindel, Herzstolpern und Herzjagen, Schweißausbrüchen, Appetit und Durst, Schlafverhalten oder bei Frauen zusätzlich zur Menstruation oder Menopause (Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen,...)
  • Sexualanamnese. Sie beleuchtet nicht nur a) einen wesentlichen Teil der Gesundheit oder einer Krankheit, sondern auch b) des psychischen Wohlbefindens, c) ggfls. sexueller Infektionsrisiken, d) mögliche Medikamenten-Nebenwirkungen wie z. B. Erektionsstörungen bei Einnahme von blutdrucksenkenden Medikamenten sowie e) die Einnahme von Potenzmitteln. Sie ist individuell für Männer und Frauen durchzuführen, bei denen auch Fragen der Monatsblutung, perimenstrueller Beschwerden, Aborten etc. eine Rolle spielen. Da derartige Fragen ein bereits vertrautes Arzt/Patienten-Verhältnis voraussetzen, können sie meist nicht bereits im Erstgespräch thematisiert werden
  • Schmerzanamnese. Hierbei kommt es auf den Beginn der Symptomatik, die Lokalisation und Stärke, die Dauer, die Qualität, mögliche Auslöser u.v.a.m. mehr an, weswegen bei einer Schmerzanamnese oftmals standardisierte Fragebögen zu Hilfe genommen werden
  • Sportanamnese. Dabei geht es um die ausgeübten Sportarten, den damit verbundenen Trainingsaufwand, sportartspezifische Risiken und die Trennung von Leistungs-und Breitensport
  • Allgemeine Anamnese, das heißt zur körperlichen Aktivität und damit verbundener Beschwerden, abendlichen Ödemen, nächtlichem Wasserlassen, selbst gemessenen Werten von Blutdruck, Puls, Blutzucker, Gerinnungswerten und Sauerstoffsättigung, aber auch von Messungen, die mit Wearables durchgeführt wurden
  • interdisziplinäre Anamnese, das bedeutet das fachübergreifende Nachfragen, wie z. B. in der Neurologie, wenn aus diesen Bereichen Symptome (beispielsweise Tremor, Kribbeln, Vergesslichkeit, kognitive Störungen etc.) geschildert werden.
  • Abfragen der bisherigen Diagnosen, Vorerkrankungen und Therapien. Dabei sollten auch länger zurückliegende, kleinere Eingriffe erfasst werden, denn wenn ein Patient beispielsweise im Kindesalter den Blinddarm entfernt bekam, kann ein Notarzt bei akuten Beschwerden des erwachsenen Patienten eine Appendizitis von vorneherein ausschließen und gleich andere Differentialdiagnosen in Erwägung ziehen.

Bei gesunden Check-up-Patienten dauert eine solche Anamnese selten länger als 30 Minuten, bei älteren, multimorbiden Patienten bis zu einer Stunde.

Die systematische Anamnese schließt mit den offenen Fragen: "Gibt es sonst noch etwas, was Sie mir in diesem Moment erzählen möchten?" und "Was erwarten Sie von mir / Was kann ich für Sie tun?"

Oftmals schließe ich an dieser Stelle noch die Frage an, wie der Patient sein gesundheitliches Problem erklärt und/oder, ob er in seiner Biographie einen Wendepunkt identifizieren kann, an dem die Symptomatik einsetzte.

Wenn der Patient mir seine Erwartungen und Hoffnungen geschildert und fürs Erste nichts mehr auf dem Herzen hat, widme ich mich den Vorbefunden.

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Prof. Dr. med. Thomas Wendt

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